Behandlung von Depressionen

… oder eher: Nicht-Behandlung von psychischen Problemen bei mehrfach Schwerstbehinderten.

Wie ich ja im Vorstellungsbeitrag geschrieben habe, bin ich mehrfach schwerstbehindert. Zeigen tut sich dieses in einer Muskelerkrankung, so dass ich auf einen Elektrorollstuhl angewiesen bin. Zusätzlich bin ich auf beiden Ohren taub und trage Cochlea Implantate.

Für diejenigen, die Cochlea Implantate, kurz CI, nicht kennen: dieses sind Hörprothesen. In einer Operation wird ein Elektrodenstrang mit mehreren Kontakten in die Hörschnecke eingeführt. Über diese Kontakte werden später (minimale) Stromstöße abgegeben, wodurch der Hörnerv gereizt wird. Das Gehirn interpretiert dieses als Höreindruck. Hierdurch ist es mir möglich, in deutscher Sprache zu kommunizeren, zumindest wenn nicht zu viele (störende) Hintergrundgeräusche vorhanden sind. Ich bin und bleibe jedoch hörgeschädigt und wenn ich das Außenteil des Implantatsystems, den so genannten Sprachprozessor, nicht trage, bin ich taub.

2024 war ein Jahr für mich, wo ein Ereignis das andere abgelöst hat. Angefangen damit, dass wir Mitte Februar unseren Senior-Hund Hops über die Regenbogenbrücke haben gehen lassen müssen. Noch nicht einmal eine Woche später wurde bei einem CT ein doppelter Tumor-Verdacht als Zufallsdiagnose gestellt, so dass ein kleiner Ärztemarathon begann. Naja, ich will nicht weiter ausholen, denn das wäre zuviel. Nur kurz: in dem Jahr gab es für mich zwei OPs. Notfallmäßig wurde mir die Gallenblase entfernt, da ein Gallenstein in Größe einer Walnuss für massive Schmerzen und Erbrechen gesorgt hat. Die zweite OP war die Entfernung der Thymusdrüse, da ich dort einen Tumor (Thymom) hatte. Dazu gab es eine Vielzahl an verschiedenen sonstigen Ereignissen, die letztendlich dafür gesorgt haben, dass ich die Diagnose „Depression“ erhalten habe.

Anfang diesen Jahres wurde mir bewusst, dass ich aus diesem dunklen Loch nicht alleine herauskomme, sondern dafür Hilfe benötige. Um es kurz zu machen: ich habe bestimmt 20 psychotherapeutische Praxen in der Umgebung angerufen, um von denen entweder gesagt zu bekommen, dass die Praxis nicht barrierefrei zugänglich ist (Stufen vor dem Eingang, Lage im x. OG, zu enge Türen etc), dass die Praxis keine neuen Patienten mehr aufnimmt oder dass es eine Warteliste gibt, so dass ich in frühestens einem Jahr mit einem Erstgesprächstermin rechnen könnte.

Also ist das keine adäquate Lösung gewesen, so dass ich mich nach anderen Optionen umgesehen habe. Ich habe sowohl mit der Tagesklinik in Unna als auch in Dortmund an den LWL-Kliniken Kontakt gehabt, jedoch haben beide Tageskliniken die Behandlung bei mir abgelehnt, da sie die körperliche Pflege bei mir personell nicht leisten können. Die Absage wegen der fehlenden Option für die Körperpflege erhielt ich auch von den LWL-Kliniken in Dortmund als ich dort wegen stationärer Aufnahme angefragt habe. Also: stationäre Aufnahme und Tagesklinik für Menschen mit Pflegegrad aufgrund einer körperlichen Behinderung ist nicht machbar.

Aber es gibt seit einigen Jahren bei den LWL-Kliniken in Dortmund das Konzept des StäB, der stationär-äquivalenten Behandlung. Die Behandlung findet im häuslichen Umfeld des Patienten statt, d.h. der Patient verbleibt auch während der Behandlung in seinem normalen häuslichen Umfeld. Für mich also eine gute Alternative, so dass ich mich im Februar bei der Klink für die StäB-Behandlung „beworben“ habe. Die „Bewerbung“ geschah telefonisch, weil das heutige Gesundheitssystem immer noch nicht auf Inklusion für Hörgeschädigte ausgelegt ist. (Zum Glück kann ich ja dank der CI telefonieren!)

Im Juni gab es dann ein Vorstellungsgespräch, bei dem ein Arzt des StäB-Teams mich hier zu Hause besucht hat. Nach den Fragen, warum ich denn eine Therapie benötige, warum eine ambulante oder stationäre Behandlung nicht möglich ist, sondern nur das StäB, war schnell klar, dass ich die „Anforderungen“ erfülle. Ich wurde auf die Warteliste für die Behandlung gesetzt. Einige Wochen später erhielt ich dann den Anruf, dass die Aufnahme für die StäB am 10. Juli bei mir zu Hause erfolgt.

Am 10. Juli kam auch eine Ärztin für das Aufnahmegespräch. Neben der Blutabnahme, den üblichen Fragen zur Einnahme von Medikamenten, Zigaretten-, Alkohol- und Drogenkonsum, Fragen zum allgemeinen Zustand wie Gewicht, Größe ging es auch um die Probleme, warum ich im StäB bin. Die Ärztin war insgesamt sehr nett und meinte auch, dass es bei der Menge an Ereignissen kein Wunder ist, dass ich in eine Depression gerutscht bin. Bei der Verabschiedung gab sie mir den Tipp mit, doch vielleicht einen Blog zu schreiben – zur Bewältigung der Probleme, aber auch um andere Personen auf Probleme von Menschen mit Behinderung aufmerksam zu machen. Nach ihr hätte ich auch gut in die Politik gehen können — das habe ich aber dankend abgelehnt.
Nach der Ärztin kam noch eine Pflegefachkraft zur Aufnahme. Auch diese war sehr nett und offen — und schon war ich im StäB-Programm.

Nun möchte ich nicht jeden Tag des StäB-Programms niederschreiben, sondern eine Zusammenfassung geben. In der gesamten Behandlungszeit habe ich:

  • täglich eine Pflegefachkraft (auch am Wochenende) gesehen (insgesamt habe ich ca. 8-10 verschiedene Pflegefachkräfte kennengelernt)
  • jeden Montag ein Arztgespräch (der Arzt wurde von einer Pflegefachkraft begleitet)
  • ein Psychologen-Gespräch,
  • ein Vorstellungsgespräch mit der Ergotherapie und
  • eine Ergotherapie-Sitzung gehabt.

In den ersten Tagen kam nur eine Pflegefachkraft, die mich ständig fragte, was ich denn am Vortag gemacht habe, was ich an dem aktuellen Tag schon gemacht habe und was für den Tag noch geplant ist. Small Talk sag ich dazu. Naja, nichts Schlimmes, in einer Reha ist ja auch die erste Woche noch „Sparprogramm“, um erst mal überhaupt anzukommen.
Das erste Arztgespräch war dann von der Aussage der Pflegefachkraft „Frau P. hat einen enormen Redebedarf“ geprägt und der Verschreibung von Antidepressiva. Der mich in der StäB-Therapie begleitende Arzt war leider nicht die aufnehmende Ärztin, sondern ein männlicher Kollege, den ich eher als ruhig und wortkarg bezeichnen würde.
Am Dienstag nach dem ersten Arztgepräch lagen dann also die Antidepressiva vor mir, aber mein gesamter Körper sträubte sich gegen die Einnahme. Also habe ich doch dankend darauf verzichtet, was dann dazu führte, dass die Pflegefachkräfte in den darauffolgenden Tagen versucht hatten, mir diese schmackhaft zu machen.

In den Gesprächen mit den Pflegefachkräften kam dann das Thema „Hobbys“ auf, da ich ein Hobby für mich suche, was mir Spaß macht und einfach positive Energie gibt. In den letzten Jahren habe ich schon mehrere Hobbys aufgeben müssen, weil ich diese körperlich nicht mehr geschafft habe, u.a. Musizieren (Querflöte, Klarinette, Gitarre). Auch bei Handarbeiten (Stricken, Häkeln, Sticken) verkrampfen inzwischen die Finger immer öfter, so dass ich nur wenige Minuten am Tag handarbeiten kann.

Mir wurde eine Liste ausgehändigt mit schönen Dingen. Angefangen von Sauna bis hin zu Segeln oder Kanu-Fahren, Backen, Stricken usw. standen dort keinerlei Dinge drauf, die ich selbstständig und einfach durchführen kann (Sauna liebe ich z.B., aber dafür benötige ich eine Begleitperson) oder die ich als positiv beurteilen würde. So stand z.B. Schminken auf dieser Liste. Ich selbst schminke mich nicht, nehme noch nicht mal Wimperntusche oder Lippenstift. Für ganz besondere Anlässe habe ich mich mal schminken lassen, aber fühlte mich dann immer irgendwie falsch, nicht ich selbst.
Naja, das Resultat war dann, dass mir unterstellt wurde, gar nicht bereit für Neues zu sein, dass ich für jeden Vorschlag ja einen Einwand hätte. Ich solle doch einfach mal etwas machen, auch wenn es nur von kurzer Dauer möglich ist.
Nein, diese Einstellung konnte ich nicht teilen. Es ist unglaublich frustrierend, ein Hobby aufzugeben, in das man Zeit, Energie und Herzblut gesteckt hat. Ich habe jahrelang Klarinette gespielt, auch im Orchester… bis meine Mundmuskulatur zu schwach wurde und ich den Ton nicht mehr halten konnte. Das Musizieren aufzugeben war echt extrem frustrierend. Verständnis hatten die Pflegekräfte dafür jedoch nicht. Vielmehr hatte ich das Gefühl, sie wollten mir etwas aufzwingen. So hatte eine Pflegefachkraft den Vorschlag Geo-Caching gemacht und mir auch eine App dafür präsentiert, um dann festzustellen, dass in 25 km Umkreis kein barrierefreier Cache existiert.

Eine Pflegefachkraft fiel jedoch diesbezüglich aus dem Rahmen. Herr L. fragte zwar auch, wie es mir geht, was ich am Tag gemacht habe usw, aber stellte dann Fragen, die stets ein bestimmtes Ziel hatten. Ohne es mir direkt zu sagen, zeigte er mir, dass ich schon sehr vieles in meinem Leben geschafft habe und darauf stolz sein kann (Stichwort Bewusstmachen von Ressourcen). Auch hat er mir zugehört und basierend auf meinen Erzählungen versucht zu ermitteln, wo man bei mir ansetzen muss, um eine Änderung zu bewirken. Er hat gemerkt, dass ich mich schwertue, Hilfe anzunehmen und hat versucht, die Ursache hierfür zu finden. Er hat mich dazu angeregt, nachzudenken, ob meine eigene Haltung zu dem Thema gut ist oder ob es besser wäre, diese zu ändern. Im Gegensatz zu den Kollegen und Kolleginnen hat er mir zu keinem Zeitpunkt irgendwas vorgeschrieben oder mir gesagt, was ich machen soll.

Im zweiten Arztgespräch habe ich den Arzt gefragt, ob es normal ist, dass man im Wesentlichen nur Kontakt zu den Pflegefachkräften hat, da ich mir etwas anderes unter der Therapie an sich vorgestellt habe. Der Arzt erklärte mir, dass es normal ist, dass man nur den Kontakt mit der Pflegefachkraft am Tag hat, in seltenen Fällen mal zwei Kontakte, z.B. wenn die Ergotherapie oder ein Psychologengespräch ansteht. Gut, ich hatte mir das anders vorgestellt, aber dann entspricht meine Vorstellung einfach nur nicht der Realität — ist ja auch nicht schlimm, denn eine Erwartungshaltung muss ja nicht korrekt sein.

Im dritten Arztgespräch wurde ich dann gefragt, ob ich noch etwas benötige. Dieses habe ich bejaht, denn ich wollte gerne eine Bescheinigung haben, dass mein Mann mich die gesamte StäB-Therapie über weiterhin gepflegt hat. Hintergrund ist der, dass normalerweise bei einem stationären Krankenhausaufenthalt (und während der StäB-Behandlung ist man offiziell in stationärer Behandlung) das Pflegegeld nach 21 Tagen gekürzt wird. Da mein Mann mich jedoch weiterhin voll gepflegt hat und die Unkosten für Strom, Wasser und Lebensmittel unverändert anfallen, wollte ich mit der Bescheinigung versuchen, dass das Pflegegeld nicht gestrichen wird.

Um es kurz zu machen: eine solche Bescheinigung habe ich nicht erhalten. Am Dienstag habe ich auf Nachfrage erneut um die Bescheinigung gebeben. Die Pflegefachkraft, die am Mittwoch gekommen ist und bisher noch nie bei mir war, wusste von solch einer Bescheinigung nichts.

Am Donnerstag morgen erhielt ich einen Anruf des mich behandelnden Arztes. Er teilte mir mit, dass das Team sich beraten hätte und der Meinung war, dass sie meine Erwartungen nicht erfüllen könnten, die Therapie somit nicht wirklich erfolgsversprechend sei. Ich teilte dem Arzt mit, dass sich schon eine Verbesserung ergeben hätte — ich habe mich mit meinem Sohn zum Einkaufen verabredet, habe angefangen das Essen zu planen und auch teilweise zu kochen. Dinge, die ich vorher einfach nicht (mehr) geschafft habe. Ich sagte, ich wüsste nicht, ob das daran liegt, dass ich nicht arbeiten müsste und ich mich auf mich konzentrieren konnte, oder ob es doch an den täglichen Gesprächen mit den Pflegefachkräften liegt – oder eine Kombination von beidem ist. Letztendlich schien es egal zu sein, denn der Entschluss war bereits gefasst: am nächsten Tag sollte ich aus dem StäB-Programm entlassen werden.

Mittags bzw. am frühen Nachmittag kam noch eine Pflegefachkraft. In den insgesamt 3 Wochen StäB-Behandlung war das der erste Termin, wo ich Unterlagen bekommen habe. Anleitungen, wie ich mich in emotional angespannten Situationen beruhigen kann. Mir wurde der Skill-Ring gezeigt und was man mit diesem machen kann. Es wurde das „Ressourcen-ABC“ angesprochen, wobei die Pflegefachkraft von „Superkräften“ gesprochen hat.

Am Freitag, nach 3 Wochen im StäB-Programm wurde ich dann entlassen – ohne Perspektive, wie es nun weitergehen soll, wo ich adäquate Hilfe bekommen kann. Entsprechend sieht auch der Entlassbericht aus. Die Beschreibung der Therapie besteht aus einer DIN A4 Seite. Die Hälfte beschreibt das StäB-Konzept. Ein Abschnitt berichtet, dass man mir Antidepressiva angeboten hat, die ich abgelehnt habe. Mehr nicht. Ok, streng genommen ist das korrekt, denn eigentlich habe ich keine Therapie erhalten – mit Ausnahme der 4 Besuche durch Herrn L. und dem einen Psychologen-Gespräch.

Im Nachhinein ist mir klar geworden, dass wohl das primäre Klientel des StäB-Programmes Menschen mit kognitiven Einschränkungen sind. Diese finden Bezeichnungen wie Superkräfte für Ressourcen natürlich viel verständlicher. Auch kommt dieses Klientel in der Regel sehr gut damit klar, wenn sie gesagt bekommen, was sie machen müssen, anstelle sich mit psychologischen Theorien oder der Ursache von den Problemen auseinander zu setzen. Leider gehöre ich nicht zu dieser Personengruppe, sondern zu den 3% der hochbegabten Menschen. Auch wenn Hochbegabung an sich keine Behinderung ist, so haben Hochbegabte oft Probleme, dass ihre Bedürfnisse aufgrund der Umwelt nicht erfüllt werden. Nicht selten versagen hochbegabte Kinder in der Schule – weil einfach die Lernumgebung nicht adäquat ist. Ich befürchte, dass genau dieses Phänomen bei der StäB mir zum Verhängnis geworden ist. Die Behandlung von Depressionen bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen und hochbegabten Menschen kann schon wegen den unterschiedlich vorhandenen Ressourcen nicht identisch sein.

Fazit ist, dass ich durch den recht spontanen Rausschmiss aus dem StäB-Programm emotional ziemlich hart auf dem Boden aufgekommen bin. Der Funke Energie, der während des StäB wieder gekommen ist, ist auf jeden Falll (erneut) erloschen. Ich lebe momentan nicht wirklich, sondern ich funktioniere — mit der Hoffung, dass ich es irgendwie schaffe, aus diesem Loch zu kommen!

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